Stele

Albrecht Haushofer auf der Flucht in Bayern

 

Von Toni Aigner

Albrecht Haushofer gehörte zur Gruppe der Persönlichkeiten, die ihr Leben mit dem geplanten Tyrannenmord an Adolf Hitler im Sommer 1944 riskierten, um den mörderischen Krieg mit seinen unsäglichen Gräueltaten und Verbrechen zu beenden und eine Regierung zu bilden, die einen Übergang zu demokratischen Verhältnissen ermöglichen sollte.

Nach dem Scheitern des Attentats am 20. Juli 1944 lief die Rachemaschinerie des NS-Staates gegen die Beteiligten des Komplotts sofort auf Hochtouren an. Sie konnte in den ersten Tagen noch nicht perfekt sein. Einige militärische Verschwörer wurden schon am gleichen Tag erschossen. Albrecht Haushofer konnte am 27. Juli 1944 noch seine Vorlesungsreihe an der Hochschule beenden, bekam noch einen Passierschein, um am 28. Juli nach Garmisch-Partenkirchen zu fahren, wo die Eltern auf ihrer Alm den Sommerurlaub verbrachten. Er, der in die Pläne und Vorbereitungen des Attentats eingeweiht war, konnte noch ungehindert mit der Eisenbahn in die Heimat, nach Oberbayern fahren. Mit seinen persönlichen Beziehungen, vor allem zu den englischen höchstrangigen Staatsmännern wäre er nach der geplanten deutschen Kapitulation außerordentlich wichtig gewesen, vielleicht wäre er Außenminister geworden. In der Nachkriegsgeschichte hätte diese von einer hohen Ethik getragene, uneigennützig und verantwortlich denkende, außergewöhnliche Persönlichkeit eine wichtige Aufgabe erfüllt.

In Garmisch angekommen, wählte er den Aufstieg durch die Partnachklamm. Er wusste nicht, dass eine Stunde zuvor sein Vater Professor Karl Haushofer von einem Gestapokommando gefangen genommen wurde, um ins KZ Dachau gebracht zu werden. Hätte Albrecht Haushofer den üblichen Weg genommen, wäre er der Gestapo in die Hände gelaufen und auch verhaftet worden. Bis 1. August blieb er auf der Alm bei seiner Mutter. Seine Schwägerin Luise besuchte sie und nahm Albrecht mit auf den Hartschimmelhof, den Familiensitz der Haushofers am südlichen Höhenrücken des Klosters Andechs. Am 1. August verabschiedete er sich von seiner Mutter, die der Meinung war, er würde nach Berlin fahren, um sich den Behörden zu stellen. Über seine Einbindung in die Attentatspläne wurde nicht gesprochen, um sie nicht zu gefährden. Seine Schwägerin begleitete ihn ein Stück des Weges in Richtung der Bahnstation Wilzhofen zwischen Weilheim und Tutzing, die es damals noch gab. Das Ziel war nicht Berlin, sondern Kerschlach.

Es war ihm klar, in welcher Gefahr er lebte. Er musste untertauchen. Alle, die in das Attentat an Hitler eingeweiht worden waren, wurden gnadenlos verfolgt – sogar deren Verwandte wie auch sein Vater und einige Wochen später sein Bruder. Sieben Wochen verbarg sich der Gejagte anschließend hier in der ganz engeren Heimat. Die Nachbarschaft des Klosterguts Kerschlach der Tutzinger Missions-Benediktinerinnen scheint die erste Anlaufstation Albrechts gewesen zu sein. In diesem Umkreis verbarg er sich. Seit Jugendtagen konnte er sich hier heimisch fühlen. Die Beziehungen der Haushofers und der benachbarten Schwestern vom Klostergut waren in den Friedensjahren schon eng. Jetzt in den Kriegsjahren kamen gemeinsame Probleme dazu. Sie waren beide Verfolgte des Regimes. Die einen wurden als bekennende katholische Nonnen von den Nazis schikaniert bis aufs Blut; die Haushofers fürchteten die Deportation der Herrin am Hartschimmelhof, der halbjüdischen Martha, dieser feinen, gescheiten Frau, der Mutter Albrechts. Franz von Lenbach hatte sie als Kind gemalt. Lebenslang war sie mit ihrem Sohn überaus verbunden. Die vielen überlieferten Briefe zeugen davon. Kurz vor seinem Tod – dem er schon mutig und ohne Wehklagen ins Auge sah – hat Haushofer ihr mit dem Sonett Mutter ein großartiges Monument geschaffen, wie es in der Literaturgeschichte kaum zu finden ist.

Die warmherzige und gastfreundliche Oberin Symphorosa Kohler vom Klostergut Kerschlach hat keinen Notleidenden abgewiesen. Das hat sie schon als Älteste von zehn Geschwistern einer armen Bauernfamilie im Schwäbischen praktiziert, zum Missfallen ihrer jüngeren Brüder, wie es die Familiensaga erzählt. Ihre Mildtätigkeit entsprang einer tiefen, aufrichtigen Frömmigkeit. Eine Schwester, die jahrelang an ihrer Seite gearbeitet hatte, stellte fest, dass Sr. Symphorosa eine hundertprozentige Nächstenliebe lebte, weil sie ungemein friedliebend und von Gottesliebe erfüllt war. Sogar in den Jahren der Not des Krieges, der Flucht und Verzweiflung wurde niemand an der bescheidenen Kerschlacher Klosterpforte fortgeschickt. Auch nicht Albrecht Haushofer. Dass er hier Hilfe erfuhr, ist überliefert. Ob er dort für einige Zeit bleiben konnte, wie mündlich überliefert, ist allerdings sehr fraglich. Der Sterbebericht der Klosterschwester Symphorosa berichtet, So schwer es Sr. Oberin auch wurde, sie konnte und durfte in diesem Fall die Bitte nicht willfahren. Man fand schließlich einen Ausweg.

Die Priorin Hyazintha Hock bat den am dortigen Lazarett (dem späteren Tutzinger Krankenhaus) tätigen Dr. Otto, Albrecht Haushofer zu verstecken. Wissend wie gefährlich das war, zögerten der tiefgläubige Arzt und seine junge Frau Elisabeth, die er ein halbes Jahr vorher geheiratet hatte, keinen Moment. Sie wohnten bei Dr. Ottos Vater, dem Lehrer Franz Otto, der schon 1936 aus politischen Gründen in Schlesien vom Dienst suspendiert und hier als Organist und Kirchenchorleiter tätig war. Dr. Martin Otto stand dem regimekritischen Jesuitenpater Delp nahe. Elisabeth Otto war in München als Lehrerin tätig gewesen. Dort war sie als Mitglied einer katholischen Lehrergruppe den Nazis schon unangenehm aufgefallen und sogar einmal gemeinsam mit Pater Rupert Mayer, dem 1987 selig gesprochene Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime, festgenommen worden.

Es scheint ein kleines Netzwerk in Machtlfing gewesen zu sein, das Albrecht Haushofer verbarg und ihn mit Nahrungsmitteln versorgte, wie auch die Familie Otto, die ihn sogar manchmal in der Wohnung versteckte. Es gibt einige Machtlfinger Zeitzeugen, die davon berichten, dass Haushofer vor allem aber im Popp-Stadel hauste an der Machtlfinger Ortsgrenze zur Kerschlacher Flur nahe dem Hartschimmelhof. Einer erzählt, er wisse von seiner Mutter, der Schwägerin der damaligen Mesnerin, dass sie dem Flüchtling zu diesem Stadel Brot und Milch brachte. Sie konnte es unauffällig tun, weil die Familie dort ein kleines Ackerl bewirtschaftete. Sogar auf dem Kirchenturm versteckte Haushofer sich, so wird berichtet. Das deutet daraufhin, dass der damalige Pfarrer, Johann Enzensberger, ein dezidierter Nazigegner, zu diesem Hilfskreis gehörte.

Der 18. September 1944 war der Schicksalstag für Schwester Symphorosa wie die Familie Dr. Otto.

Johann Sontheim aus Machtfling, der damals siebzehn Jahre alt war, erinnert sich gut an diesen Tag. Er arbeitete damals noch auf dem elterlichen Hof, bevor er zwei Wochen später zum Militärdienst eingezogen wurde. Als er den Milchtransport von der Machtlfinger Milchsammelstelle zum Bahnhof Feldafing brachte, wurde sein Fuhrwerk an einer Straßensperre beim Popp-Hof am südlichen Ortseingang von einem SS-Kommando festgehalten und genauestens durchsucht. Die Soldaten waren auf der Suche nach Albrecht Haushofer. Im Stadel und Haus des Popp-Hofes drehten sie alles drunter und drüber. Sie mussten einen Hinweis auf den Gesuchten bekommen haben, schienen aber den Stadel zu verwechseln. Zum Anwesen gehörte nämlich noch der Stadel an der Grenze zur Kerschlacher Flur, der oben schon erwähnte. Dort hielt sich Haushofer versteckt. Er konnte so rechtzeitig gewarnt werden, dass er gerade noch entkommen konnte. Die Familie Popp wurde erstaunlicherweise nicht belangt. Es ist möglich, dass sie gar nicht wusste, dass Haushofer in ihrem Stadel zeitweise hauste. Die junge Familie Otto, sogar deren Vater und Schwester Symphorosa brachte man zuerst ins Gefängnis nach Weilheim, später ins KZ Dachau, Letztere in die Gestapozentrale in München. Dr. Otto kam erst kurz vor Kriegsende körperlich und seelisch zerbrochen heim. Albrecht Haushofer hatte sich zu Fuß nach Garmisch durchgeschlagen, nur nachts gehend, über die Partnachklamm zur Alm, die im Familienbesitz war. Am Graseck beherbergte ihn die Bäuerin Anna Zahler, wo ihn die Gestapo am 7. Dezember verhaftete. Auch sie litt lebenslang an den Folgen der anschließenden Haft.

Schwester Symphorosa wie die Familie Otto wurden am 18. September 1944 von der Gestapo zuerst in das Gefängnis Weilheim, dann in das Münchner Polizeipräsidium Ettstraße in eine Einzelzelle gebracht. Dort wurden sie in vielstündigen Kreuzverhören, oft nachts, stundenlang stehend und frierend gequält. In den Bombennächten wurde sie allein und ohne Schutz gelassen, konnten nicht in den Schutzbunker, wohin sich ihre Peiniger zurückzogen. Neben den Auskünften über Albrecht Haushofer wollte man Schwester Symphorosa ein Geständnis entlocken, um ihre Oberin zu belasten. Dem hielt sie mutig stand, zerbrach aber darüber.

Nach ihrer Rückkehr am Ende des Jahres 1944 war diese feinfühlige, geradlinige, immer Ausgleich suchende Persönlichkeit körperlich und seelisch zerbrochen. Noch in der Krankenabteilung des Klosters kamen aber immer wieder Gestapobeamte zu peinlichen und quälenden Verhören. Erst nach dem erlösenden Kriegsende im Mai 1945 konnte sie sich einigermaßen erholen. Sie, die ehemalige starke Frau mit offenem Blick, offenem Herzen, offener Hand, so die Todesanzeige, konnte nur noch zwei Jahre an der Klosterpforte ihrem Konvent dienen, bevor sie wieder auf das Krankenlager geworfen wurde und schon im Dezember 1949 zu Gott heimging.

Albrecht Haushofer wurde nach Berlin in das Gefängnis Moabit verbracht. Er ahnte, dass er die Heimat und die geliebten Berge nie mehr sehen würde. So entstanden die Moabiter Sonnette. Als die Russen schon in Berlin eindrangen, wurde er in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 von einem SS-Kommando zusammen mit einer Gruppe anderer Häftlinge durch Genickschuss getötet.